Montag, 29. September 2014

Kinder und "Schwule"


Video der Woche

Heute mal eine inspirierende Idee, die in den USA ein viraler Hit wurde - eine Episode der "Kids react" Youtube-Serie beschäftigt sich mit homosexuellen Heiratsanträgen...es reichen die ersten 3 Minuten, danach kommt Q&As, die ich persönlich aber auch sehr sehenswert finde:

Youtube Direktlink

Hier geht's nur um die Idee


Zunächst mal: Dies ist im eigentlichen Sinne KEIN NonProfit Video einer Charity-Organisation - dennoch findet man in der Videobeschreibung Links zu einigen NGOs aus dem Bereich, wie etwa FreedomToMarry.org.
Ich habe diese Folge der Erfolgsserie der Fines-Brüder dennoch als Video der Woche ausgewählt. Einmal wegen der genialen Idee an sich - die animiert vielleicht zum Nachmachen? Und zum anderen, um Euch ein paar Anregungen zu Youtube-Channels mit auf den Weg zu geben. Denn man muss nicht alles selber machen, das gilt auch für das Seeding, also die Distribution.

Team Up - mit erfolgreichen "Youtube-Stars"


NonProfits in Deutschland wissen, wie schwer man ins TV kommt, also kostenlos mein ich. Das liegt an vielen Gründen, aber vor allem daran, dass öffentlich-rechtliche Redakteure auf alle Fremdwerbung allergisch reagieren. Und die Privaten müssen schließlich von ihrer Sendezeit leben, also Hand auf, egal ob NonProfit oder Kommerzielle anfragen. Von den wenigen Alibi-Minütchen, die man zu Weihnachten an prominente NGOs verschenkt, mal abgesehen.

Anders bei Youtube-Kanälen: Manche von ihnen haben inzwischen Abonnenten-Reichweiten im sechsstelligen Bereich, und sie sind jung, kreativ, offen und für jede gute Idee zu haben - wenn sie denn wirklich gut ist. Die gute Sache alleine reicht natürlich nicht. Aber man sollte mal drüber nachdenken. Der NachrichtenGuru unserer Kinder z.B. ist der Videoblogger "LeFloid" - oh ja, denn ganz ehrlich, die Tagesschau ist nicht wirklich für 16jährige gemacht. LeFloid's Kanal schon:


Der Jung-Berliner hat - laut Wikipedia - Aug 2014 ca. 2 Millionen Abonnenten, die Videos wurde über 200 Millionen mal angesehen....Und wenn eine NGO wirklich ein tagesaktuelles Thema mit einer lustigen Idee verknüpft, kann es gelingen, dass der ein oder andere Youtuber das aufnimmt. Die Reichweite hält einem Vergleich mit TV aber mal locker stand!

Überhaupt: Das lineare TV ist zwar noch immer Platzhirsch, schrumpft aber schon jetzt sehr deutlich, während Online-Videonutzung massiv zunimmt - so der Spiegel 15.9.2014. TV lebt, ganz ehrlich, von den Alten. Das kann nicht ewig gut gehen. Und ich bin der Meinung: NGOs sollten auch die eigenen Kommunikationsstrategien frühzeitig anpassen und überdenken - statt später Trends hinterher zu laufen. Oder was meint ihr?


Mittwoch, 24. September 2014

Video als Social Media Tool 1/5


1. Youtube


Inzwischen ist YouTube für rund zehn Prozent des gesamten Datenverkehrs im Internet verantwortlich. Das Videoportal ist damit Marktführer mit einer Reichweite von 40,2 Prozent in Deutschland. Nach YouTube kommt auf dem Videomarkt lange nichts, dann folgt Myvideo 5,9 Prozent, Newsportale von T-Online mit 4,4 Prozent und Vimeo mit 2,3 Prozent.


Das Branding dieser Plattformen ist ziemlich klar festgelegt, so ist Vimeo die anspruchsvolle Plattform für ambitioniertere Filmemacher - immerhin wurde sie ja auch von solchen gegründet. Und YouTube ist die Plattform der breiten Masse. Es macht also für eine NPO ganz sicher keinen Sinn, nicht auf YouTube präsent zu sein.

NonProfit Organisationen & Video


Noch vor zehn Jahren bestand ein Non-Profit-Video aus große Kulleraugen magerer afrikanischer Kinder, die vom TV-Schirm kurz vor Weihnachten flehentlich zu uns herauf schauten. Dazu sprach eine tiefe Männerstimme bedeutungsvolle Worte. 
Wer sich die heutigen Top-Non-Profit-Videos mit mehr als 1 Millionen Klicks anschaut, findet eigentlich nichts mehr, das nicht lustig, schockierend, unglaublich oder sexy ist. Die wenigsten dieser Top-Performer stammen von NPO-Schwergewichten. Stattdessen geben hier junge und moderne Organisationen mit oft sehr fest umrissenen, klaren Zielen den Ton an - und fahren damit virale Erfolge ein:



(quelle: The Local, Norway. Videolink "It could have been worse" / Det kunne vært verre)

Grund dafür sind vor allem die extrem gesunkenen Video-Produktionskosten durch die komplette Digitalisierung der Technik. Dazu hat das Internet das Spezialwissen der Videoproduktion allgemein verfügbar gemacht:  Heute kann prinzipiell jeder Jugendliche mit seinem Smartphone ein eigenes YouTube-Video produzieren - und sofort online stellen. 

Die Sehgewohnheiten der Massen wurden geradezu “youtube-isiert”. War früher eine Wackelkamera undenkbar, so ist heute ein ruhiger Schwenk absolut “old-school”. Ebenso haben sich die Erwartungen verändert. Ein Video muss durch seinen Content, besonders durch seinen Unterhaltungswert zu einem teilens-werten Clip werden, sonst hat er in sozialen Netzwerken gegen die milliardenfache Konkurrenz keinerlei Chance. Das macht das TV in seiner alten Form nicht obsolet, das Onlinevideo ist damit aber eben in keiner Weise zu vergleichen. 

Was macht YouTube so attraktiv für NPOs?


Grundsätzlich sind Online-Videos - und damit das wichtigste Videoportal YouTube - als Social-Media-Werkzeug ein unverzichtbares Kommunikationstool für jede NPO. Während man bei anderen Community-Plattformen oder Werkzeugen durchaus abwägen kann, welche davon Sinn machen, ist YouTube gesetzt. So braucht die Stiftung Preußischer Schlösser sicher keinen Twitter-Account, weil Twitter ein Individual-Tool ist, also eine Person dahinter erwarten lässt. Einen YouTube-Kanal hat die Stiftung allerdings sehr wohl, immerhin gibt es kaum etwas Visuelleres als ein Schloss oder einen Barockgarten. 

Die wichtigste Funktion, die eine NPO von einer Video-Plattform erwartet, ist das einfache und unkomplizierte Sharing, also die Möglichkeit, das Video im Internet zu teilen und zu verbreiten. Das geschieht über die Weiterleitung als Link oder über das Embedding, also die Einbettung eines Videos in eine andere Umgebung wie Facebook oder einen Wordpress-Blog. Hier besitzt YouTube die derzeit am weitesten entwickelten und nutzerfreundlichsten Sharing-Werkzeuge. 


Zudem ermöglicht es YouTube mit dem Kanal eine leicht zu aktualisierende Gallerie von Videos zu erstellen - ähnlich einer Mediathek klassischer TV-Sender. Solch ein Kanal ist inzwischen Standard für viele NPO, die damit eigene und fremde Videos auf einer eigenen Oberfläche präsentieren und die Nutzer abonnieren können. Hier bietet YouTube allen nichtkommerziellen Organisationen ein Sonderprogramm. Damit wird es beispielsweise möglich, in Videos einen Button einzufügen, der direkt auf eine eigene Webseiten verlinkt - der sogenannte “Call to action”-Button. Das ist ein essentielles Verlinkungs-Tool, wenn man eine Landing-Page für seine Kampagne bewerben will.
Dies ist dem normalen YouTube-Nutzer nicht gestattet, er darf lediglich auf andere YouTube-Videos verlinken. Bald soll auch der in den USA und Großbritannien schon verfügbare Spendenbutton für deutsche Nutzer des NPO-Programms von YouTube eingerichtet werden. Damit wird eine direkte Möglichkeit zum Online-Spenden angeboten, was YouTube noch attraktiver für NPOs macht. 

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So - das war's für heute!
Nächsten Mittwoch geht es weiter mit "Online-Video-Strategien für NPOs"

Montag, 22. September 2014

Monster


Video der Woche

Aaah - Skandinavien: Wälder, Nordlicht, Einsamkeit - und der berühmte finnische Wodka. Die Kinder dort sehen das etwas weniger idyllisch...

Youtube Direktlink

Aus Helsinki hat es dieses Video bis nach Cannes geschafft, Gold bei den Lions in Cannes 2014. Außerdem bestes politisches Viral bei den Viral Video Awards 2013 in Deutschland.
Knapp 3 Millionen Zuschauer, ebensoviele Facebook-User, die bis heute auf der rein finnischen Facebookseite diskutieren. Hier ein englischer Kommentar auf Youtube, der mich berührt hat:

"my father was an alcoholic... he died (i dont miss him)
my step father is an alcoholic... he will de soon (i wont miss him)"
(Krisztián Szabó, Aug 2014)


Finnen und Alkhol

Saufen die Finnen mehr als wir? Ja und Nein!
Etwa gleich viel reiner Alkohol (um die 10-11 Liter) pro Kopf und Jahr fließt durch die Kehlen, damit sind wir Europäer fast Weltmeister, aber in Finnland wird anders getrunken als bei uns: Deutlich mehr Schnaps als Wein - hier bei uns ist es umgekehrt. (WHO 2010er Zahlen) - und es sterben in Finnland wesentlich mehr Menschen im Schnitt an Alkohol-begründeten Krankheiten oder Unfällen. Bei der arbeitenden Bevölkerung ist Alkohol Todesursache Nr 1 (Statistics Finnland 2007 - via BBC), wobei das vor allem die Männer betrifft - im Europäischen Ländervergleich starben 2004 nirgends in Europa mehr Männer an Alkohol (Bericht Statistisches Bundesamt, S. 288) als im Land der Samen.
Und hier der traurige Nachsatz, "previous research has shown that every fourth Finnish child has suffered some harm because of its parent’s alcohol usage." - meint zumindest eine der beteiligten Produktionsfirmen, Sauna International.

Die geniale Seeding-Idee

Die Monster-Kampagne 2012 der A-Clinic-Foundation Helsinki machte also sehr wohl Sinn. Dabei hat die ausführende Agentur eine, wie ich finde, sehr schlaue Seeding-Strategie verfolgt. Genau darum ist es auch Video der Woche geworden. "Seeding" - also Sähen - steht immer am Anfang jeder Video-Verbreitung. Wo setzen wir unsere frisch geborenen Filmchen in den Ozean des WWW aus? Auf dass sie sich viral vermehren mögen wie die Wintergrippeviren im örtlichen Kindergarten? Der Case Study Film zur Kampagne beantwortet diese Fragen in 2 Minuten (auf das Bild klicken):


Es ist schon hinterhältig: Die Finnen reagieren sehr hellhörig, wann immer sie in den internationalen Medien Erwähnung finden - kommt ja selten genug vor. Folgerichtig verbreitete man den Kampagnenfilm zwar auch in den Finnischen Medien - mit eher "normalem" Erfolg - aber man brachte auch intensiv internationale Pressemitteilungen und fokussiert die virale Verbreitung über finnische Grenzen hinweg. Als das Video weltweit viral auf Reisen ging, und von BBC bis Japanisches Fernsehen wirklich jeder das Video präsentierte, kam es in Finnland zu einer zweiten Welle an Medienpräsenz, die über diese internationale Erwähung berichtete: Schaut, man spricht weltweit über uns - tja, und diesmal war die finnische Berichterstattung geradezu massiv! Und zack: Der Finnische Präsident bietet sich als Kampagnen-Pate an! Na, das ist doch mal was: Nationales Kampagnenziel übertroffen auf dem geplanten Umweg über internationale Wahrnehmung. Einfach nur genial!

Pressearbeit vs. Werbung

Ähm, die genannten 0,- Euro für Medienverbreitung sollte man nicht ganz so naiv stehenlassen. Natürlich wurde massiv Pressearbeit betrieben (und das kostet Geld für die Leute, die das machen), aber es wurden keine Werbeanzeigen geschaltet - die ganz sicher um ein vielfaches teurer gewesen wären. Die Schätzung von einer Medienpräsenz im Wert von ca. 1 Millionen Euro halte ich nicht für übertrieben. Immer noch eine tolle Bilanz, auch ökonomisch gesehen.

Ich möchte noch darauf hinweisen, dass in Deutschland fast viermal mehr Menschen jährlich durch Alkohol sterben - 14.551 - als durch Autounfälle - 3827 (Zahlen von 2012), wer eine gute Seeding-Idee hat, wie wir das mal in's deutsche BierBauchBewußtsein bringen könnten, ich würd ihn hier sofort verewigen. Muss ja nicht gleich die Merkel Pate der Kampagne werden - aber Alkohol ist unsere Droge Nr 1! Danach kommt lange nix....


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Diesen Mittwoch startet hier die erste Folge von "Video als Social Media Tool"

Video als Social Media Tool für NGOs - Fünf Posts dazu ab diesen Mittwoch und die kommenden fünf. - Diese werden nicht im Email-Rundbrief stehen, sondern nur hier auf dem Blog zu finden sein. Unter 'KnowHow' findet man sie dann alle gesammelt.

Montag, 15. September 2014

Sch*** auf die Armen!


Video der Woche

"Scheiß auf die Armen" - zu Englisch: "Fuck the poor!" Was passiert, wenn man öffentlich dazu aufruft? - Das will eine NPO in England wissen. Hier die eindeutige Antwort:

Youtube Direktlink

Die Fakten: 

20% weniger öffentliche Spendenbereitschaft und 60% der staatlichen Zuwendungen für die Obdachlosenarbeit gestrichen - tja, da kann eine kleine NGO wie The Pillion Trust schon mal radikal werden.

So geschehen mit diesem Kinospot vom April 2014, der auf Youtube inzwischen 4,5 Millionen Zuschauer gefunden hat. Die Idee stammte von einer britischen Kommunikationsagentur, die hier pro Bono aktiv wurde. Dabei waren die Dreharbeiten sicher der geringste Budgetpunkt.

Der Film arbeitet mit dem wichtigsten dramaturgischen Werkzeug überhaupt: Der überraschenden Wendung: Macht die NGO es jetzt so, wie alle es verlangen - hat sie keinerlei Wirkung.

Ich habe es als Video der Woche gewählt, um einmal die Fahne für Guerillia und Offline-Aktionen hochzuhalten. Ja, der Flashmob an sich ist ausgelutscht, nicht aber der Vorteil von Aktionen im realen Leben - so man denn eine Kamera in die Hand nimmt und es gleich online mit auswertet. Oder wie hier, als Kinospot. Ein anderes Beispiel - auch über Obdachlose - in meinem Post Obdachlose ungeschminkt.

Die Aktion "Fuck the poor" hat schnell Nachahmer gefunden, in Indien und New York (zum jeweiligen Video auf das Bild klicken):


Dazu auch etwas: Nachahmer sind keine Diebe - sie machen die eigene Aktion online noch bekannter - wer eine Idee produziert, die andere sogar zu gleichen Videoprojekten inspiriert, darf sich auf die Schulter klopfen, etwas besseres kann kaum passieren.

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In eigener Sache: Video als Social Media Tool - jeden Mittwoch neu

Video als Social Media Tool für NGOs - Fünf Posts dazu gibt es in Kürze jeden Mittwoch. Die werden nicht im Email-Rundbrief stehen, sondern nur hier auf dem Blog zu finden sein. Unter 'KnowHow' findet man sie dann alle gesammelt.

Hintergrund: Die Freie Journalistenschule FJS  bietet einen neuen Studiengang "Social Media Manager" an,  besonders für ÖA-Veranwortliche und Journalisten und nicht ganz so Marketing-lastig - und dazu habe ich bei einem Script von Mirko Lange einen Gastbeitrag zum Thema "Video & Social Media für NGOs" schreiben dürfen - dessen Kerninhalte ich in kleinen Häppchen gerne hier veröffentlichen möchte

Montag, 8. September 2014

Sorry


Video der Woche

Manchmal reicht die Zeit nicht mal, um Sorry zu sagen...das wurde hier durch einen Videoeffekt ganz hervorragend visualisiert:

Youtube Direktlink

Neuseeland kämpft mit hohen Zahlen an Verkehrstoten. Seit Jahren werden auf der anderen Seite des Erdballs sehr schlaue Kampagnen gefahren, um das zu ändern, und das mit Erfolg. Berühmt wurde 2009 diese Plakatwand, die nur bei Regen anfängt zu bluten:

Youtube - Bericht zu den Plakaten
Wenn es in Neuseeland regnet, verwandeln sich dort nämlich die Straßen in Schmierseife.

Das Video "Sorry" von oben gehört in diese Reihe von schlauen Kampagnen - und ich habe es aus mehreren Gründen ausgewählt: Zum einen wird hier nicht auf den puren Schock-Effekt gesetzt, wie leider bei fast allen sonstigen Kampagnen zur Straßen-Sicherheit. Dieser Effekt nutzt sich schnell ab. Stattdessen arbeitet man hier nur mit einer Andeutung - Das hat uns schon Hitchckock's berühmte Duschszene in Psycho gelehrt: Weniger zu zeigen, das regt die Imagination viel mehr an, als alles im Detail zu beschreiben (Bei Psycho sieht man niemals einen Einstich und nie den Mörder in echt). In unseren Tagen hat uns das der Blair-Wich Film deutlich gelehrt - dort taucht die Hexe niemals wirklich auf - umso gruseliger!
So auch hier - es gibt keinerlei gezeigte Verletzungen, kein Blut (im Film jetzt, aber auch das Plakat lebt von dem Kontrast des gesunden Jungengesichtes und dem deplazierten Blut).

Aber vor allem hat mir gefallen, dass hier ein visueller Effekt allerneuester Machart - das "Einfrieren" im 3D-Raum (Ähnlich der Bullet-Time in Matrix) nicht nur um der Effekt-Hascherei willen eingesetzt wird, sondern eine dramaturgisch wichtige Bedeutung hat: "Würden wir noch schnell fahren, wenn wir wüssten...." - Dieser Effekt gibt die Chance auf ein außergewöhnliche Unterhaltung, die man nicht so schnell vergisst: Ein Vater der erfährt, dass sein Sohn gleich stirbt - und zwar durch seine eigene Mitschuld...das ist harter Psycho-Tobak, oder? Da kann sich mancher Blockbuster mit wilden sinnlosen Effekten noch mal eine Scheibe abschneiden.

LEKTION:
1) Visuelle Effekt machen nur Sinn, wenn sie dramaturgisch Sinn machen.
2) Schocken geht noch besser, wenn man nicht alles zeigt - lass der Vorstellungskraft des Zuschauers Raum - er ist sein eigener bester Regisseur!

Donnerstag, 4. September 2014

Webseiten mit Videos - Best Practice


Videos produzieren und Videos publizieren - das sind zwei ganz verschiedene Dinge! Hängen natürlich zusammen. Hier habe ich ein 'Best Practice'-Beispiel für die Einbindung in eine Webseite zur Unterstützung der indigenen AWA in Brasilien ausgewählt:


Survival International ist eine NGO mit Sitz in London und Berlin, die sowohl Kolonialsimus als auch Entwicklungshilfe hinter sich gelassen haben. Sie kämpfen für indigene Stämme...in DEREN AUFTRAG. D.h. sie suchen sich nicht die Fälle aus, die ihnen passen, sondern reagieren auf Anfragen der Betroffenen selber - sie verstehen sich als deren Dienstleister (Wikipedia). Tja, damit haben Sie schon mal einen Fan mehr: Mich!
Es wird nicht 'über' die bedrohten Stämme gesprochen - sondern die NGO gibt ihnen eine eigene Stimme.
Das sind heere Ziele, in der Tat, aber von Erfolg gekrönt, denn die Brasilianische Regierung ist zu Gunsten der Awa aktiv geworden. Dank der Supporter aus über 80 Ländern. Und genau diese Supporter sind Inhalt und Zielgruppe des ersten Filmes der Webseite, er handelt von ihrem Engagment und ihrem Erfolg! Hier der Video-Direktlink.
Das ist Zielgruppengerechte Platzierung - denn wer bitte geht hauptsächlich auf eine Webseite einer Kampagne - na klar, die Supporter. Folgerichtig steigt die Seite mit Ihnen ein.

Ich habe mal zwanglos alle positiven Elemente der Videonutzung für diese Webseite zusammengestellt:

Webseite

Die Webseite ist hochmodern: Sie ist minimalistisch aufgebaut, folgt dem 'Ein-Seiten-Modell' zum Herunter-Scrollen, Videos stehen an erster Stelle, Bildelemente überwiegen vor Text. 
Die Anmutung entspricht moderenen Hochglanz-Bildreportage-Magazinen wie etwa 'Geo', 'Natur' oder ähnlichem - mit Recht, denn deren Leserschaft ist sicherlich eine Haupt-Supporter-Gruppe für eine Kampagne zur Rettung indigener Völker.

Die Webseite führt uns durch eine Art Reise-Natur-Reportage, immer mit Videos und Bildern angereichert bis ganz unten zum Call-to-Action. Quasi das Paradebeispiel des Campaigning-Storytelling ist hier vorbildlich durchgeführt worden: 
1) Eyecatcher & Target Group ansprechen --> 2) Lebenswelt der Awa, die es wert ist, beschützt zu werden --> 3) Bedrohung (dies wechselt mehrfach) --> 4) Die Zukunft --> 5) 'Support us' - um diese Zukunft möglich zu machen. 

Einige der Bildelemente (etwa der Mond) sind aus Videos entnommen - sie reagieren interaktiv mit kleinen Verschiebungen auf Mausbewegungen - das hebt das Zuschauer-Erlebnis um einiges, obwohl es kein sehr aufwendiges Element ist. Es spielt sich nicht in den Vordergrund aber macht die Seite viel interessanter.

Video

Mehrere kleine Videos statt nur einem Langen - alleine die Videogallery zu den Awa ist beeindruckend - und doch sind sie vermutlich alle vom selben Kameramann bei einem einzigen Dreh-Besuch erstellt worden. Das ist sehr ökonomisch und gleichzeitig sehr Nutzer-freundlich, da sich jeder aussuchen kann, was er sehen will. 
Die Videos bleiben im typischen Doku-/Reportagestil - auch von der hohen Bildqualität her - die der Zielgruppe aus ähnlichen Medienformaten (z.B. National Geographic TV) bekannt ist. 

Ganz hervorragend hat mit das Video zur spirituellen Welt mit der Geier-Zeremonie gefallen - Karawara.
Schon alleine vom Thema her, aber vor allem, dass ein Teilnehmer der Zeremonie selber die Inhalte vorstellt. Wir sind dadurch eingeladene Gäste. Eine wunderbare Herangehensweise: Authentisch, Respektvoll und tief. Und ohne Voyeurismus, denn in die Hütte selber - sozusagen das Allerheiligste - geht der Kameramann nicht mehr mit. Und so sollte es auch sein. Das erhöht eher noch die Mystik des Ganzen, statt den Stamm zu entblößen.

Dramaturgisch wird dadurch unsere Reise zu den Awa - die Webseite hinab - zu einem Tag-und-Nacht-Aufenthalt, als wären wir für eine Übernachtung ihre Gäste, bevor wir uns am nächsten Tag wieder aufmachen, um in unsere Welt zurückzukehren (und sie dort zu unterstützen - siehe call-to-action am Ende!). Sehr gut!

Nur Eines könnte ich als Verbesserung noch anmerken: Statt auf eine interne eigen Video-Hosting Lösung zu setzen, wäre Youtube heute sinnvoller, um deren Social media sharing Möglichkeiten direkt zu nutzen. Die Reichweite erhöht sich damit noch einmal enorm.

Fazit

Hervorragende Kombination, quasi Verschmelzung, der Videos mit der Story der Webseite. Abgesehen davon gefällt mir persönlich gut der Ansatz, dass Survival International aktiv gegen die Vorstellung vorgeht, diese Stämme wären 'primitiv' oder müsste dem Westlichen Lebensstil eines Tages angepasst werden. Ein altes, rassistisches und extrem weit verbreitetes Bild, das unsere Medien lieder immer noch zu oft transportieren. Wer sind wir denn, hm? Dürfen diese Menschen das bitte selber entscheiden? Dafür steht - als Abschluss für heute - das wunderbare Statement in der Mitte der Webseite von Wamaxu Awá - Videolink hier.



Montag, 1. September 2014

Sorgenfrei - für eine Sekunde


Video der Woche

Kann ein Blick in den Spiegel uns alle Sorgen vergessen lassen? Ja, er kann:

Youtube Direktlink

Die Franzosen wieder - sie können nicht nur Schocker-Drama (Nicht noch so ein Feministen-Video) sondern auch diese gloriose Variante der versteckten Kamera. Natürlich waren alle Protagonisten einverstanden, dass sie gefilmt wurden, nur dass die Kamera direkt hinter dem Spiegel war...das war die kreative Zutat der Agentur Leo Burnett France (Nr. 3 der größten Kommunikations-Agenturen weltweit). Der Film erreichte Anfang 2014 schon nach 2 Wochen über 15 Millionen Zuschauer, inzwischen sind es 16 Millionen...Der produzierte Fotoband war ratz-fatz ausverkauft, und das bei stolzen 60,-€ Kaufpreis. Er wurde an wichtige Medien und Blogger weltweit versandt und schuf eine globale Medienpräsenz der Kampagne. Hier das Case-Study-Video zu der Kampagne:

Youtube Direktlink

Aber die Grundidee ist nicht eine aufgesetzte Medienaktion, sondern Schminken, Massage, Perrücken usw. sind die Kern-Aufgaben der Mimi-Foundation: Sie wollen Krebspatienten ihren Weg mit einem kostenlosen Wellness-Angebot erleichtern, eine kleine Insel der Sorgenfreiheit schaffen - der Gedanke, der auch Clowns in Krankenhäuser oder Flüchtlingscamps reisen lässt, und den ich für absolut legitim halte.

Was den Film angeht - es ist dramaturgisch eine reine Doku, aber die Story macht es zu etwas Besonderem. Die Gesichter der Protagonisten sprechen für sich. Dem ist kaum etwas hinzuzufügen.

Ich konnte nicht herausbekommen, ob die Agentur Geld genommen hat, viele der Großen machen solche Aktionen kostenlos, denn Mimi Foundation hat grad mal 100K € Jahresumsatz, bei solchen Budgets fangen Agenturen wie BBDO oder Leo Burnett normalerweise grad mal an zu arbeiten. Wie man sie dazu überredet, pro Bono mitzumachen? Man muss jedenfalls kein NGO-Schwergewicht sein (Mimi Found. war das nicht) Es gibt zwar kein Erfolgsrezept, aber eine spannende Idee hilft schon mal sehr - diese Leute sind hoch-kreativ und freuen sich durchaus, wenn sie sich austoben können.