Montag, 18. August 2014

Kein Teufel nötig...

...wenn man Klassenkameraden hat.

Mobbing kenn ich selber aus meiner Grundschulzeit, und ja - als Betroffener. Es war allerdings nur für kurze Zeit, bis ich mich aufgerafft habe um...- ja was tut man als junger Mensch, um sich zu wehren? Amoklauf? Selbstmord? Selbstverstümmelung? Da gibt es so einiges....



Youtube Direktlink - Und hier ein Link mit deutschen Untertiteln

Ich such schon lange nach einem guten Film zu Cybermobbing. Bisher erfolglos - weil zu oft an der Sache vorbei. Manche sehen aus, als hätte das Landesschulamt Regie geführt. Wo man Schüler zwingen muss - per Hausaufgabe oder so - den Film anzusehen.

Dann fand ich diesen Clip. Es war purer Zufall. Oder vielleicht doch nicht? Lest mal in der Beschreibung, wie der Clip auf Youtube kam: Ein Mädchen aus der Zielgruppe fand ihn auf dem Schul-PC, und hat ihn begeistert hochgeladen, zusammen mit dem richtigen Stichwort "Cyber Bullying". 500.000 Views in vier Jahren. Der Originalclip hieß "Let's fight it together" - 300.000 Views in sechs Jahren. Was ein richtig gesetztes Schlagwort doch ausmacht....und ein Film, der Mädchen inspiriert, ihn hochzuladen - was mehr ist, als nur auf "share it" zu klicken.

Abgesehen davon ist diese ganze Kampagne von Childnet vorbildlich, der Film noch viel mehr. Childnet  international ist eine Londoner Charity Organisation, die seit 1995 als eine der ersten für die Sicherheit von Kindern im Internet aktiv ist, sozusagen die Großväter des Online Kinderschutzes.

Gemeinsam produziert

Der Film war von Anfang an für einen weltweiten Einsatz konzipiert.  - schaut in die Kommentare des Mädel-Uploads, da sind welche aus Armenien, Australien, Deutschland dabei, die den Film in der Schule gesehen haben. Entsprechend wurde der Film auch weltweit finanziert. Bei Childnet macht nicht jedes Chapter seinen eigenen Film, anders als einige internationale NGOs, die ich kenne..leider. Dabei können viele Filmprojekte international eingesetzt werden, das ist für alle Beteiligten am Ende günstiger, und der Film erreicht eine viel höhere Qualität (oder überhaupt irgendeine - kleiner böser Kommentar!)

'Let's fight it together' wurde dennoch von The Edge - Der Produktionsfirma - mitgesponosrt und erhielt 2008 den Bronze bei den IVCA Awards, der größten International Vereinigung von Kommunikationsprofessionellen (nicht nur NonProfit) in Europa!

Fachleute einbinden!

Bei Childnet wissen sie schon, was sie tun. Und wenn nicht, dann fragen sie! z.B. bei Fachleuten  für Cybermobbing...nämlich bei den Schülern! Mit denen treffen sie sich nach eigenen Angaben JEDE WOCHE! Und da sie auch keine Filmemacher sind, haben sie einen Kinofilm-Rregisseur engagiert. Und DAS sieht man dem Film an.

Die Kampagnenseite bietet ausführliche pädagogische Materialien für Lehrer, Eltern und Mitschüler. Und zusätzlich zum Video auch gleich 'Character-Interviews' mit den Film-Schauspielern - also Interviews in ihrer Rolle, als Betroffene oder Täter, wie etwa 'KIM, THE BULLY'. Das ist schon eine geniale Idee. (Link dazu: Auf das Bild klicken)

Film Dramaturgie sehr gut

Der Hauptdarsteller - er ist perfekt gecastet! - Meine eigenen Mädels (12 und 14) finden ihn "süß", aber auch Jungen fragen in den Kommentaren, wie der Schauspieler heißt. Er ist wirklich, wirklich smart, und kommt bei der Zielgruppe extrem gut an. Er ist der Hauptgrund, das Video zu teilen, der virale Kick sozusagen (wie bei jedem guten Kinofilm ja auch). Ist das an der Wirklichkeit vorbei? 
Dazu mal ein ganz ernstes Wort an alle Bedenkenträger:

Dick, Dumm, Streber, Langer Lulatsch, Neger, Schlitzauge, Mongo...usw. - das sind die realen Bezeichnung von Mobbingopfern. War in meiner Kindheit schon so, ist heute noch so (Infoquelle.de). Gemobbt wird, wer anders ist als der Durchschnitt, als die Gruppe. Nicht in jeder Gruppe. Aber in Gruppen, die in permanenten Konurrenzsituationen leben. Schulklassen z.B. Das ist einfach eine System-Sache, oh ja. Also nicht nur, wer häßlich ist, wird Opfer. Auch der Schönling oder der Klassenbeste. Fragt mal Eltern von hochbegabten Kindern, wie akzeptiert die in der Klasse der Normalos sind. Meine Kinder fanden die Figur glaubwürdig. Ich hab auch keinen Videokommentar gelesen, der das irgendwie problematisch fand, im Gegenteil. Also - ja, der Film bleibt real, hat aber die dramaturgisch und marketingtechnisch beste Variante ausgewählt. Gut gemacht! 

Show, don't tell - das lernt jeder Filmstudent im ersten Semester. Nur Amateure denken, dass der gesprochene Text in einem Film das Wichtigste ist, um die Message rüberzubringen. Das ist falsch, Filme erzählen ihre Story vor allem durch Handlung und Action. Danach kommt die Musik. Danach kommt der Sprechertext.  Folgerichtig spricht das Mobbingopfer hier in dem Film ausschließlich zu seinem Videotagebuch, sonst nie! Stärker kann man seine Isolation kaum darstellen. Dramaturgisch hervorragend. Auch alle anderen sprechen NICHT! Ja, wenn man das Video zum ersten Mal ansieht, merkt man das noch nicht mal wirklich, oder? So stark ist die Handlung! Aber schaut noch mal hin. KEINER redet - außer dem Opfer, und das spricht nur zu sich selber.

Auf diese Weise erhält der Film außerdem den Charakter eines Musik-Videoclips - ein bei Jugendlichen nicht gerade unbeliebtes Format, oder? Über die Qualität des Songs "Still fighting it" von Ben Folds brauch ich sicher nichts sagen, sie passt, wie die Faust auf's Auge, denn Folds schrieb den Song für seinen pubertierenden Sohn mit viel Herzblut - aber das Album war auch ein US-Erfolg. Ob er den Song zur Verfügung stellte oder Gebühren bezahlt wurden, weiß ich nicht. Aber Gema für Online-Videos ist viel niedriger, als die meisten glauben...

Positives Ende - Der Film geht gut aus. Das Ende wirkt sehr stark auf Jugendliche. Sie geben es nicht gerne zu, aber 11-14jährige sehnen sich immer noch sehr nach der Zuwendung ihrer Eltern und noch mehr nach der Zuwendung und Anerkennung ihrer Peer-Group. Und darauf baut der Film auf. 

Die meisten Mobbing-Videos, die ich gefunden habe, gehen schlecht aus. Da spritzt das Blut oder, wie im zweiten Film der Europäischen Kommission,  geht das Mädchen am Ende "verloren" (Auf die Bilder klicken).
 

Warum denn? Fast alle Kinofilme für Kinder dieser Altersgruppe gehen gut aus, alles was unter FSK 16 ist. Nur die meisten Anti-Mobbing-Clips machen da eine - für mich ganz unverständliche - Ausnahme. Da wird mit heftigen Bildern gewarnt und ermahnt, statt ein Beispiel für ein gutes Ende zu zeigen. Erwachsene erreicht man so (Autobahnplakate, Zigarettenaufkleber) - zumindest manchmal. Und NGOs haben sich im Fundraising angewöhnt, den Schock-Hammer einzusetzen 'Was bei der Bild-Zeitung funktioniert, lässt auch bei uns die Kasse klingeln'. Aber hier wollen wir doch kein Geld...hier geht es um Erziehung. Da ist Vorbild gefragt. Anleitung zum Richtigmachen. Offenbar glauben viele Erwachsene immer noch, dass man mit Drohung und Verboten eine gelungene Erziehung gewährleistet (Ich kann da ein paar Lehrer und Schuldirektoren aufzählen, ganz ohne Probleme). Tja, Leute. Das ist genau das Klima, in dem Mobbing entsteht.  Aber 11-14-Jährige erreicht man nicht unbedingt über Abschreckung. Das ist pädagogisch einfach an der Zielgruppe vorbei.

Film sachlich sehr gut

Der Film richtet sich NICHT an die Opfer von Cybermobbing, und das ist richtig!
Diese sind in den allerwenigsten Fällen in der Lage, sich zu äußern, geschweige denn, dem Treiben Einhalt zu gebieten. Das ist einfach Fakt. Er richtet sich an diejenigen, die wirklich etwas tun können. An Lehrer, Mitschüler, Eltern.
Dennoch predigt uns der Spot der Europäischen Kommission z.B. seinen Slogan "Wehr Dich" - und geht damit an der Realität vorbei. Zieh Dich selber aus dem Sumpf? Wieso wird das hier als Aufgabe des Opfer gesehen? Schulmobbing entsteht durch Schulklima, nicht durch Fehlverhalten oder Defiziten von Einzelnen (Wikipedia zu Ursachen von Mobbing). Und 'anonym' ist es auch nicht wirklich - oder nur ganz selten. Es ist doch ganz klar - und war es auch meine ganze Schulzeit über: Jeder Mitschüler in einer Klasse weiß, wer der Klassenarsch ist. Und der weiß ziemlich genau, wer seine Peiniger sind. Es sind die stillen Mitläufer oder die Erziehungspersonen, die hier gefordert sind und angesprochen, sensibilisiert und motiviert werden müssen. Die den Kreislauf des Schweigens durchbrechen können. Und genau das ist Ziel der Childnet-Kampagne. Gut gemacht!

Mein positives Ende

Wie ging es nun bei mir aus? Mein älterer Bruder hat damals etwas mitbekommen und mit mir über mein Problem geredet. Hätte er mir damals gesagt "Wehr Dich, sprich mit jemandem (mach ich doch gerade), tu was"...ich hätte weiter gelitten. Stattdessen ist er aufgestanden und mit mir zu den Eltern des Mobbing-Einheizers gegangen. Er war nur dabei, ich hab geredet, aber das hätt ich mich ohne ihn nie getraut. Der Film hier oben erzählt fast 1:1 meine Story. 
Meist ist es ja immer nur einer oder ein paar, die alle anderen animieren - wie auch in unserem Film das eine Mädchen, Kim.

Danach war Ruhe in der Kiste. Ich hatte Glück. Und was gelernt. Und habe selber auch schon auf Hilferufe reagiert, als ich später ein paar Jahre als Jugendpfleger unterwegs war. Und zwar nicht mit guten Ratschlägen. Auch hier gilt: "Show, don't tell!"

Wie in diesem Film.
Chapeau!



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